SCHWERPUNKTTHEMA: TRÄUME

Der Traum von der weißen Weihnacht

Snow Days – Schneetage: Sie rissen uns unerwartet und ungeplant aus unserem Alltag. Die Kinder blieben zuhause, die Erwachsenen brachen erst spät, wenn überhaupt, zur Arbeit auf. Der Verkehr war erlahmt. Die Welt um uns verschwand in wirbelndem Weiß, der Lärm verstummte, die Zeit stand still. Erst wenn der Schneefall nachließ und die Welt unter einer unberührten weißen Decke zurückblieb, fing die Uhr wieder langsam an zu ticken. Der Schneepflug rumpelte durch die Straße, die Einfahrt musste geschippt werden, von nebenan grüßten die Nachbarn, die Kinder wälzten sich im Schnee und machten Schneeengel. Sie bauten Schneemänner und Schneehöhlen und kramten die Schlitten raus.

 

So hatten wir es gewollt, als wir Ontario, Kanada wählten statt Texas, USA, als wir den Wechsel der Jahreszeiten über den ewigen Sommer stellten. So wie wir es aus der eigenen Kindheit kannten: milde Frühlingsluft, heiße Sommertage, flammende Herbstfarben und den sanften Schneefall im Winter. Und es gab Schnee. Mal schneite es schon im Oktober, mal blieb der Schnee bis Ostern liegen. Manchmal gab es kurze Warmzeiten mit Regen, dann ist der tauende Schnee wieder angefroren und Gehweg und Einfahrt waren wochenlang vereist.

 

Ein Schneesturm überraschte uns kurz vor Weihnachten. Wir trauten uns nicht mehr hinaus aufs Land, um in der Plantage einen Baum zu schlagen. Mein Mann klapperte sämtliche Christbaumverkäufer ab und kam mit einem kleinen krummen Bäumchen zurück. Es gab nichts anderes mehr. Die Enttäuschung bei den Kindern war riesig, es flossen sogar Tränen.

 

Meine Schwester kam mit ihren beiden Kindern über Weihnachten zu Besuch. Über die Feiertage hat es nur geregnet, und doch hatten wir eines unserer schönsten Feste. Erst als ich sie zurück zum Flughafen ins 200 km entfernten Toronto fuhr, fing es an zu schneien. Ich schlich durch einen Schneesturm im Windschatten eines LKWs zurück nach Hause, langsam und vorsichtig erreichte ich mit heiterem Herzen mein Ziel.

 

Heiligabend standen wir mit unseren deutschen Freunden auf dem Parkplatz der Kirche nach dem Gottesdienst und sangen „Oh, du fröhliche“ in sanft fallendem Schnee. Am Weihnachtsmorgen, als alle anderen ihre Geschenke auspackten, fuhren wir hinaus ins Naturschutzgebiet und stapften durch den Schnee bis an die Stelle im Wald, wo sich die Meisen aus der Hand füttern ließen.

 

Der Zauber von frisch gefallenem Schnee, der die Nacht erhellt und die graue Welt bedeckt, der den Lärm dämpft und zum Innehalten einlädt, dieser Zauber, zusammen mit dem Wunder der Geburt des Kindes, das Licht in die Welt bringt, das uns Trost spendet und Mut macht, das Hoffnung weckt, das ist mein Traum von der weißen Weihnacht.

 

Betina Speicher

28.11.2024

 

Dass immer mehr Gemeinden fusionieren müssen, ist ein sichtbares Zeichen einer unumkehrbaren Entwicklung innerhalb der Kirchen, der Katholischen wie der Evangelischen. Die fetten Jahre sind vorbei, und damit auch die Zeit der Bequemlichkeit, in der man sich vielerorts eingerichtet hatte.

 

Noch ist ein guter Zeitpunkt, um kreativ über Kursänderungen nachzudenken – solange noch Menschen in den Gottesdienst kommen, solange noch junge Leute konfirmiert werden. Es ist in der Evangelischen Kirche viel darüber diskutiert und geschrieben worden, wohin die Reise gehen könnte: Könnte es nicht thematische Kirchen statt oder ergänzend zu den Parochialgemeinden geben: eine Kirche der Stille, eine Kirche der Vielfalt, eine Kirche der Experimente? Soll es überhaupt beim regelmäßigen Sonntagsgottesdienst bleiben oder nicht flexiblere gottesdienstliche Angebote geben? Wie können Gemeinden professioneller werden bei Internet und Social Media? Wie muss sich die Gottesdienstsprache ändern, damit sie noch verstanden wird? Welche Angebote sind wirklich noch wichtig, und welche Zöpfe dürfen abgeschnitten werden?

Das sind wichtige Fragen, und auch in unserer Gemeinde muss darüber gesprochen werden. Mich hat ein Buch aber besonders inspiriert, das sich den Zukunftsfragen in ganz anderer Weise zuwendet: „Ich träume von einer Kirche der Hoffnung“ von Monika Renz. Sie beschäftigt sich nicht mit Strukturfragen, sondern sie geht in den Kern des Glaubens und fragt: Wie kann Kirche sich (endlich) hinbewegen zum unmittelbaren Gott? Wie können Menschen berührt, ergriffen und auf neue Weise offen werden für Wandlung? Monika Renz erinnert daran, dass das emotionale Geschehen in den Vordergrund rücken muss, die Ebene des Wortes kann dann folgen. Sie plädiert für eine mystische Kirche, die der Spur des mystischen Jesus folgt, und die Menschen hilft, das Angeschlossensein an Gott zu erfahren. Die Zukunft liegt, so die Theologin und Sterbeforscherin, in einer Kirche, „die persönlich berührt“. Vielleicht ist dies ein guter Ausgangspunkt, auch für die notwendigen Diskussionen in unserer Gemeinde: nicht krampfhaft festhalten am Bisherigen, sondern fragen, was Menschen heute und vor allem in der Zukunft brauchen, um von Kirche persönlich berührt zu werden. Möglicherweise kommen dann ganz neue Ideen in den Blick.

 

Veronika Kabis

28.11.2024