ANGEDACHT

Klarer Blick und klare Kante

Wann haben die Krisen eigentlich noch einmal begonnen, die unsere scheinbar heile Welt ins Wanken gebracht haben? War es die Flüchtlingskrise 2015? Der Klimawandel? Die Pandemie? Der russische Angriff auf die Ukraine? So klar kann man das nicht benennen. Und doch frage ich mich heute oft, wie alles begonnen hat und wo die Leichtigkeit des Lebens geblieben ist. Früher war nicht einfach alles besser, aber es hat sich vieles verändert.

 

Extremismus und Populismus nehmen zu. Fake News und gegensätzliche Narrative spalten die Gesellschaft und verunsichern viele Menschen. Daher ist es wichtig Haltung zu zeigen. Gerade auch als Kirche.

 

Als Christ ist mir die Heilige Schrift eine wichtige Quelle der Inspiration. Ganz konkret frage ich, was uns die Bibel für den Erhalt der Demokratie lehren kann und werde schnell fündig: Im Zentrum der Botschaft Jesu stehen Gottes- und Nächstenliebe. Damit hat er einen klaren Blick für Hass und Ausgrenzung. Er durchschaut die destruktiven Strukturen in der Gesellschaft und lässt sich auch von den negativen Führungsformen seiner Zeit nicht blenden. In den Streitgesprächen setzt sich Jesus für Gerechtigkeit und Mitgefühl ein. Das sind Werte, die auch heute in einer Demokratie von großer Bedeutung sind. Die Würde der Menschen hängt in der Bibel nicht von sozialer Stellung, Geschlecht oder Herkunft ab, sondern von der Gottebenbildlichkeit. Als Kinder Gottes haben wir einen Anspruch darauf, respektvoll behandelt zu werden. Deshalb zeigt Jesus auch klare Kante gegenüber allen, die mit zweierlei Maß messen. "Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut" (Matthäus 12,30). Die Botschaft der Gleichheit und des Respekts ist grundlegend für jede Demokratie.

 

Ein weiterer Punkt in Jesu Verkündigung ist die Bedeutung des Dialogs und der Vergebung. Die Geschichten der Ehebrecherin (Johannes 8) und des verlorenen Sohns (Lukas 15) zeigen, wie wichtig die Bereitschaft zur Vergebung von Schuld ist. Deshalb freuen sich die Engel im Himmel mehr über einen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen (Lukas 15,7). Schließlich setzt sich Jesus für einen Führungsstil auf Augenhöhe ein: Wer groß sein will, der soll für die Bedürfnisse und das Wohl seiner Mitmenschen einsetzen. Das gilt auch für unsere Demokratie. Extremisten haben immer dann Aufwind, wenn sich Politikerinnen und Politiker nur um eigene Interessen kümmern.

 

Wichtig ist, dass wir die Hoffnung nicht verlieren. Eine Demokratie ist niemals ein fertig gebautes Haus, in dem nur die Möbel gerückt werden müssen. Eine bessere demokratische Gesellschaft kann nur gelingen, wenn wir sie aktiv gestalten und nicht den Blick für das Wesentliche verlieren. Dazu gehören das persönliche Engagement vor Ort, Gelassenheit im Umgang mit Demokratieverächtern und das Gespräch mit Menschen, die anderer Meinung sind. Für Jesus war das Gebet eine Quelle der Inspiration, um nicht den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Gerade dann, wenn radikale Parteien Zulauf gewinnen, kriegerische Konflikte unsere Zuversicht untergraben und Pessimismus die Politikverdrossenheit in Deutschland befeuern, sollen wir aufschauen zu Gott, unserem Vater, der uns letzten Halt und Schutz geben kann.

Pfarrer Joachim WÖRNER

13.04.2024